78 Träume ich ... oder träumen mich meine Träume? - Radioessay

Eine Topographie nach Motiven von Aribert Reimann und Ludwig Wittgenstein

Eigentlich hatte ich Aribert Reimann nur gebeten, dass er mir seine Wohnung zeigt. Als ich ihn das erste Mal besuchte, war mir aufgefallen, dass er schon seit langem in ihr wohnen müsste (tatsächlich schon seit über 50 Jahren), da sich darin quasi Schichten von Erinnerungen, Sedimente vergangener Zeiten und Epochen angesammelt hatten. Aribert Reimann kam meiner Bitte nach, und spann mit seinen Erzählungen ein Netz von Gegenstand zu Gegenstand, von Möbelstück zu Möbelstück, wanderte dabei kreuz und quer durch sein Leben und das Leben seiner Vorfahren, seiner Verwandten, Freunde, Schülerinnen und Schülern, erzählte von seinen Kompositionen, den glücklichen und leidvollen Momenten ihrer Entstehung. All dies nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern in der Gleichzeitigkeit seiner Wohn- und Arbeitszimmer, von da nach dort, als bewege er sich in einer Landschaft, in der wir seine früheren Wege immer wieder durchkreuzen.

Nachdem Sebastian Rausch und ich alle O-Töne abgeschrieben, alle Photos und Videoaufnahmen sortiert hatten, geriet ich eher durch Zufall an einen der späteren Texte von Ludwig Wittgenstein, seine „Philosophischen Untersuchungen“, deren Erzähl- resp. Argumentationsstrukturen auf das Haar der Erzählweise von Aribert Reimann glichen. Eher eine Wanderung durch eine Landschaft, in der jedes Ding durch seinen Zusammenhang bestimmt wird, denn aus sich selbst heraus definiert werden kann, in der sich die Bilder und Charaktere sofort verändern, je nachdem wohin ich die Schärfeebene verlagere. Wittgensteins Text, der über weite Passagen auch über Musik nachdenkt, las sich wie ein Kommentar zu Reimann´s Erzählungen.

Ich begann schon bei der Lektüre beide Texte ineinander zu schieben, und es entstand eine Art innerer Dialog nur einer einzigen Person, die sich durch die Landschaft ihrer Wohnung, durch die Landschaft ihrer Sprache, ihrer Musik, Ängste, Zweifel, Analysen bewegt – nur gelegentlich taucht noch eine dritte Stimme auf, die mal da und mal dort den Ort beschreibt, Fragen stellt, oder vielleicht auch einen Kommentar abgibt und ansonsten mittreibt im Strom der Gedanken, und am Ende irgendwo in der Tiefe des Bildes verschwindet.

Dieser Text für drei Sprecherstimmen ist beim SWR als einstündiger „Musikalischer Essay“ produziert worden, mit Hans-Peter Bögel, Sebastian Mirow und mir – Redakteurin ist Lydia Jeschke. Der Titel ist: Träume ich oder träumen mich meine Träume? – Eine Topographie nach Motiven von Aribert Reimann und Ludwig Wittgenstein.

Die 22-minütige Filmfassung verwendet den Ton der Hörfunkproduktion, nur dass gelegentlich auch Aribert Reimann als vierte Stimme auftaucht. Dieser Film entstand für die Webseite des SWR2 und wird in der Deutschen Oper Berlin in einer Installation gezeigt, die Tabea Rossol entworfen hat.

Faksimile Manuskript

Exposé

Radiosendung SWR

Kritik Süddeutsche Zeitung

Diese Produktion kann als CD zum Preis von 12,80 € bei der inpetto filmproduktion bestellt werden. Bitte schreiben Sie eine mail an: bestellungen@inpetto-filmproduktion.de

Cast & Crew

Regie
Uli Aumüller
Hauptdarsteller/in
Hans-Peter Bögel, Sebastian Mirow
Redakteur/in
Lydia Jeschke