Im Diesseits vom Jenseits der pianistischen Ordnung

im duden-herkunfts-wörterbuch findet sich das stichwort "klavier" zwischen "klausur" und "kleben". "klausur", bedeutend das "abgeschlossene möchsleben", dem sich der beflissene student der pianistischen technik auf dem "gradus ad parnassum" zu überantworten hatten: täglich üben, üben, üben, und immer mit den fingern an den tasten "kleben".
"klavier" stammt vom lateinischen "clavis", das bedeutet zunächst "schlüssel" und meint auf den entsprechenden instrumenten die tasten, auf den "clavierten instrumenten", wie noch bis zum ende des 18. jahrhunderts orgel, cembalo, clavicord usw. zusammengefaßt wurden.
ein modernes klavier hat 88 tasten. fangen wir an.
in der mitte ist das schlüssel-c. das heißt nicht so, weil die tasten früher schlüssel hießen, sondern weil sich hier im allgemeinen die vorrichtung zum abschließen es klavierdeckels befindet.

(geräusch "aufschließen", ton c')

auf seine weise ist dieses c auch der schlüssel zum europäischen system der musikalischen ordnung, paradigmatisch ins werk gesetzt im siebzehnten jahrhundert von johann sebastian bach in seinem "wohltemperiertem klavier", jener sammlung von präludien und fugen, die bis heute zur einübung in das musikalische regelwerk herhält.
"wohltemperiert": das bedeutet, die töne so zu stimmen, daß alle tonarten spielbar sind.
dafür wurden kleinere verstimmungen der vormals rein intonierten intervalle in kauf genommen, die sich jedoch recht gleichmäßig auf den gesamten tonvorrat verteilen. durch die kleinen differenzen zwischen tönen und zwischen den verschiedenen oberschwingungen ergeben sich leichte schwebungen. die stimmung heißt darum"gleichschwebend temperiert".
von nun konnten an alle dur- und moll-tonarten präludien und fugen behausen, ohne daß in dieser musikalischen reihen-siedlung etwa jene häuser mit den vielen schlüsseln den bewohnern der anderen den eintritt verwehrten. von nun an konnte auch jedes beliebige tonstück aus seiner angestammten tonart in jede beliebige andere versetzt werden, "transponiert" werden. c-dur ist überall.

vor der einführung der schallplatte war das häusliche pianoforte die wichtigste instanz zur pflege der musikalischen literatur. die im konzertsaal gespielte musik war im allgemeinen recht schnell in klavierausgaben verfügbar, in verschiedenen bearbeitungen zur hausmusikalischen verbreitung von musikalischen edelsteinen aller gattungen und genres. im heimischen notenschrank fanden sich auch aktuelle kompositionen, und so dienten die auszüge auch durchaus zur vorbereitung des konzertbesuchs. ihre verfertigung hielt große mengen von bearbeitern in lohn und brot.

in ihrer bildungs- und aneignungsfunktion konnten die klavierauszüge der im 20. jahrhundert aufkommenden technologie der schallreproduktion keine konkurrenz bieten; der aktive vor- und nachvollzug der musikalischen literatur wurde durch den passiven konsum von schallkonserven ersetzt.

Cast & Crew

Regie
Uli Aumüller
Drehbuch
Frank Gertich
Redakteur/in
Frank Hilberg