Die Verwirrung der Verwirrungen
Hörspielkomödie von Uli Aumüller und Martin Daske
Die Verwirrung der Verwirrungen
(WDR 1998)
Zuerst war es nur Zufall. Eine Erschaft, ein Lotteriegewinn. Etwas von dieser Art.
Dann kam im ererbten Haus die Entdeckung eines Safe´s hinzu, und der enthielt ein weiteres Vermögen.
Der Held des Hörspiels - “Die Verwirrung der Verwirrungen” - nimmt es gelassen. Humorvoll. Das Fachchinesisch seiner “Vermögensberater “ ist ihm fremd - zunächst - und legt sein Geld nach Indikatoren an, die ihm praktisch und greifbar nahe erscheinen: Die (kurze) Rocklänge seiner Freundin und die Geburtstage seiner Bekannten als sechsstellige Wertpapierkennziffern, vorwärts zum Kauf, rückwärts zum Verkauf, irgendwie so. Er hätte auch würfeln können.
Mit der Zeit beginnt er sich auch für das Flugverhalten von Schmetterlingen in China zu interessieren, und grübelt über Methoden, Vorkommen und Farbe seiner bevorzugten Spezies zu manipulieren.
Aber das geschieht schon in einer späteren Phase. Unser Held wird langsam stutzig. Ganz gleich, was er tut, es schlägt zu seinem Vorteil aus. Er wird reicher und reicher, und weiß garnicht, wohin mit seinem Geld. Wie Hans im Glück, nur umgekehrt.
Als seine Freundin sich von ihm trennen möchte, um ihrer eigenen Geschäftsidee nachzugehen, sich Unabhängigkeit von seinem Reichtum zu verschaffen, nimmt er einen letzten Anlauf, um alles loszuwerden, was er angehäuft hat. Er verkauft, auf Teufel komm raus - und hat am Ende mehr denn je. Und muß sich in sein Schicksal fügen...
Die Hörspielkomödie von Martin Daske und Uli Aumüller verarbeitet Motive aus Max Webers “Die Geburt des kapitalistischen Geistes aus der protestantischen Ethik”, aus Adalbert Stifters Erzählung “Bergkristall”, Biographien der berühmten Börsengurus Kostolany und Soros, und viele kleine und große Geschichten der Finanzwelt. Eine unterhaltsame und bitterböse Parabel über den weltweit unaufhaltsamen Fortschritt, den stetig wachsenden Reichtum und ein garantiert glückliches Ende einer auserwählten Menschheit.
Essay zum Thema des Hörspiels (von Uli Aumüller)
Kapitalismus ist die Unterwerfung der Gesellschaft unter ein Zweckrational. Und in dieser Hinsicht ist der Kapitalismus sehr erfinderisch. Die Krisen, die er dabei hervorruft, waren dabei zumindest bislang weit davon entfernt, das System als solches in Frage zu stellen, sondern im Gegenteil, sie dienten als Herausforderung, als Ansporn das System als solches weiter zu stabilisieren. Die Rationalität des Zweckrationals als solches hat dies nicht erschüttert.
Von welchem Zweckrational ist dabei die Rede? In erster Linie geht es um die Steigerung der Produktivität, d.h. darum, möglichst viele Waren möglichst preisgünstig herzustellen und sie möglichst teuer zu verkaufen. Der Preis und die Qualität einer Ware werden über die Kaufentscheidungen der Konsumenten gesteuert, also über die Konkurrenz mehrerer gleichwertiger Anbieter auf einem potentiell freien Markt.
Für sich genommen klingt das wenig dramatisch. Wo steckt also das Problem?
“Wir hatten in der Vergangenheit eine sehr stabile Trias zwischen Arbeit, Wissen und Kapital. Die gemeinsam steigerten ihre Produktivität, erhöhten ihre Wertschöpfung, und das führte dazu, daß die Konsumeinkommen für den Faktor Arbeit zugenommen haben, die Vermögenseinkommen sind gestiegen, das Wissen bliebe in der Regel außen vor, das wurde nicht gesondert bewertet. Diese Trias ist zerbrochen. Kapital kann immer häufiger mit Wissen auskommen. Und in der Verbindung mit Wissen produktiv sein. Und das heißt, daß der Faktor Arbeit auf eine schiefe Ebene geschoben worden ist. Und auf dieser schiefen Ebene rutscht die Arbeit langsam aber sicher aus dem hochproduktiven gut bezahlten Segment der Volkswirtschaft in das weniger produktiver niedriger bezahlte Segment der Volkswirtschaft. Das wäre nun nicht schlimm, man könnte sagen, das ist ja eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung, daß wir bestimmte Tätigkeiten, die so schön ja auch nicht waren, sie waren sehr standardisiert, oft monoton und so weiter, den Maschinen überlassen können, und daß wir uns Dingen zuwenden können, die im eigentlichen Sinne human sind, nämlich der unmittelbaren Zuwendung bei den Kindern und alte Menschen und Nachbarn und was da alles sich eröffnet, wenn nicht die Schwierigkeit darin zu sehen wäre, daß diese Bereiche aufgrund ihrer niedrigen Wertschöpfung niedrige Einkommen erzielen, und gleichzeitig die Erwerbsbevölkerung nicht mehr angekoppelt ist an die Wertschöpfung von Wissen und Kapital. Das ist unser eigentliches Problem. Nicht daß die Arbeit heraus gedrängt wird aus diesen Segmenten, ist das Problem, sondern daß gleichzeitig die Möglichkeit der Teilhabe an der Wertschöpfung von Wissen und Kapital damit zerbrochen ist, und hier sehe ich einen wirklichen historischen Fehler, der sich mittlerweile rächt, wir haben in der Vergangenheit immer nur darauf geschaut, Konsumeinkommen zu steigern, und wir haben nicht darauf geschaut, daß parallel dazu sichergestellt werden mußte, daß die Arbeitskräfte, die langsam aber sicher aus diesem Teil heraus gedrängt werden, ihren Kontakt zu diesem Teil behalten, indem sie nämlich partizipieren durch Vermögen, Vermögensbildung und heute Vermögenseinkommen. Die Folge davon ist, daß die sehr stark steigenden Vermögenseinkommen den wenigen zufließen, die Vermögen haben, und die anderen haben daran kein Teil mehr. Das ist nicht die Folge von irgendwelchen sinistren Mächten, die hier wirken, sondern es ist die ganz einfache Folge der Tatsache, daß dieses Vermögen so produktiv geworden ist und den Faktor Arbeit nicht mehr benötigt.” (Meinhard Miegel, Institut für Wirtschaft und Gesellschaft, Bonn)
In anderen Worten: Die Steigerung der Produktivität führte nicht nur dazu, daß an die Angestellten und Arbeiter der Wirtschaftunternehmen immer höhere Löhne ausgezahlt werden konnten, sondern daß - dummer Weise - gleichzeitig immer weniger Arbeiter und auch Angestellte benötigt wurden, um die gleiche Produktivität zu bewerkstelligen. Gleichzeitig stieg die Summe des je Arbeitsplatz durchschnittlich investierten Kapitals, durch den Einsatz immer teurerer und aufwendigerer Maschinen, von technischem Know How und immer komplexeren Computerprogrammen. Dies ist gemeint mit der Verbindung zwischen Wissen und Kapital: Das Geld, um diese Maschinen zu kaufen, und das Wissen, sie zu konstruieren.
Von dieser Entwicklung profitieren konnten im wesentlichen zwei gesellschaftliche Gruppierungen, aus der Natur der Sache heraus weitgehend miteinander identisch: Zum einen die Kapitaleigner, die zum Beispiel als Teilhaber von Aktiengesellschaften ihr Geld in diesen Unternehmungen produktiv für sich arbeiten lassen, da Kapital hier nur investiert wird, wenn unter Kalkulierung eines gewissen Restrisokos sich über kurz oder lang die Erwirtschaftung eines möglichst hohen Gewinns erwarten läßt.
Zum anderen die Betreiber des Faktors Wissen, also der selige Teil der zur Lohnarbeit bereitstehenden Bevölkerung, der zur Grundlagenforschung und Entwicklung eben dieser hochproduktiven Maschinen und Programme notwendig ist. Denn nur wer Arbeit hat, kann von seinem Einkommen ein kleines oder großes Vermögen auf die hohe Kante legen, das sich dann auf diese oder jene Weise verzinst, also für Vermögenseinkommen sorgt. Es versteht sich von selbst, daß sich auf diesem Segment des Arbeitsmarktes nur hochqualifizierte Arbeitskräfte durchsetzen können.
Dieser Prozeß ist unumkehrbar und entwickelt sich jenseits aller moralischen Einwendungen. Er käme erst dann zum Erliegen, wenn sich die Spaltung der Gesellschaft so radikalisiert hat, daß wegen der blanken Armut eines weltweit zu großen Heeres an Arbeitslosen sich nicht mehr genügend Konsumenten finden, um all die hochproduktiv und mit geringen Lohnstückkosten produzierten Güter auch zu kaufen. Ohne Umsätze kollabiert die schöne neue Welt des optimierten Zweckrationals.
Aber davon sind wir noch weit entfernt, zumindest hier in Westeuropa - und wie gesagt, der Kapitalismus hat sich bislang als sehr erfinderisch erwiesen, wenn es um die Abwendung der von ihm selbst verursachten Krisen ging.
So haben etwa die von dem Zweckrational der Produktivitätssteigerung losgetretenen ökologischen Krisen und Katastrophen dazu geführt, daß sich ein ganzer neuer Industriezweig entwickelte, der sich der Verminderung der Emissionen widmet, einer Ressourcen schonenden Energiegewinnung, der Erzeugung von rückstandsfreien Nahrungsmitteln. Die Zerstörung der Natur scheint schon jetzt ein Niveau erreicht zu haben, daß sich die Renaturieung verseuchten Brachlandes ökonomisch rechnet. Außerdem hat nicht nur die Menschheit, sondern auch die Natur eine Geschichte. Man muß das Ganze also etwas dynamischer sehen.
Bernd Niquet: Diese Grenzen des Wachstums, das ist viel zu statisch gedacht. Ich denke schon, daß unsere natürliche Umwelt irgendwann nicht mehr existiert. Ich meine, was ist denn bei uns noch natürliche Umwelt. Früher war in Deutschland, war inEuropa, war in Italien alles bewaldet. Heute ist alles Kulturlandschaft. Gott, und irgendwann werden wir vielleicht unter Glaskuppeln leben, na Gott nee. Wir sind ja heute auch den meisten Tag im Zimmer, und nicht mehr draußen, und irgendwo geht´s uns dabei ganz gut, und wenn wir dann die Luft nicht mehr atmen können, und alle unter Glaskuppeln leben...
Aumüller: Dann wird das Unternehmen, das Filteranlagen produziert, sehr viel Gewinne machen...
Bernd Niquet: Na, das ist doch Wahnsinn! Dann sind alle Leute beschäftigt, haben eine Beschäftigung, alle können sich irrsinnig viel erlauben, und es gibt ein paar Romantiker, die dem nun noch nachweinen. Aber ich fände das nicht irgendwie... Es gäbe sicherlich tragischere Sachen. Ich fände es tragischer, wenn wir uns gegenseitig umbringen würden, oder wenn wir darben müßten. Aber so. Also ich persönlich muß sagen, mich viele von diesen Konsumgütern nicht interessieren, aber ich kann selber die Entscheidung treffen, und das einfach, weil es schön ist.
(Bernd Niquet, Wirtschaftsautor, Betreiber einer Hotline für Aktienanleger)
Nach dem Modell der Leitbildnation USA wird es zu so einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosenzahlen auch in Westeuropa nicht kommen, viel eher wird eine Ausweitung des tertiären Arbeitssektors, wie schon von Meinhard Miegel angedeutet, zu erwarten sein, der Service- und Dienstleistungen, wozu auch die Alten- und Kinderpflege, d.h. die traditionelle Hausfrauenarbeit, die - wie Miegel sich ausdrückt - im eigentlichen Sinne “humanen” Tätigkeiten gehören. In diesen Bereich fallen ebenfalls alle Formen der Betreuung und Bereitstellung von Freizeittätigkeiten, die sich einer wachsenden Nachfrage erfreuen werden, da gesamtgesellschaftlich immer mehr Menschen immer weniger Zeit mit Lohnarbeit verbringen müssen. Recht bedacht stehen wir an der Pforte zu paradiesischen Zuständen, sieht man einmal davon ab, daß die Beschäftigten in diesem tertiären Sektor auf einem nur sehr niedrigen Niveau entlohnt werden können, da sich ihre Arbeit im Jenseits des Zweckrationals befindet. D.h. eine Steigerung ihrer Effektivität läßt sich entweder nicht bemessen oder nur durch höheren Zeiteinsatz erzielen. Paradoxer Weise werden also gerade die Beschäftigen des tertiären Sektor, also u.a. die Beschäftigten des Freizeitsegemtes am wenigsten Zeit zur Freizeitgestaltung haben, da sie aufgrund ihres niedrigen Lohnniveaus am meisten arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Auch der ästhetischen Produktion stellen sich hier neue Herausforderungen, der bildenden Kunst, der Literatur, der Musik, dem Theater, den Neuen Medien, ..., deren Aufträge vor allem aus dem Bereich der Bildungs- und Vermögenseliten stammen werden, da die Richtlinien- und Führungskompetenz der Politik und des Staates, und somit auch der Kulturpolitk, die versucht, einen Interessenausgleich aller zu erzielen, weiter zurückgedrängt werden, respektive sich freiwillig zurückziehen, da eine Verschlankung des Staates, eine hohe Kosten-Nutzen-Effizienz sich auf eben die Rationalität beruft, nach deren Primat auch die potentesten Steuerzahler agieren und die aus ureigenem Interesse versuchen, ihre Steuerlast niedrig zu halten.Diesem Einfluß und Druck wird sich der Staat auf Dauer nicht entziehen können.
Kapitalismus ist der Höhepunkt, die Vollendung gewisser Maßen, der Aufklärung. Grundlage für seine Entfaltung war eine von sämtlichen gesellschaftlichen Institutionen befreite Menschheit, letztendlich also das emanzipierte, selbstbewußte Individuum, uneingeschränkt von den ethischen Regeln der Stände, der Kirche oder anderer moralischer Institutionen, und jetzt, in letzter Konsequenz der Institution der Familie. Eine Gesellschaft der Singles verfügt über die höchste Mobilität und Konsumbereitschaft. Die Ausgestaltung und Inszenierung einer möglichst augenfälligen Individualität als gesellschaftlicher Leitidee ernährt eine ganze Mode- und Designindustrie, und es ist gut, daß sie das tut, denn sonst gäbe es noch ein paar Millionen Arbeitslose mehr.
Uli Aumüller: Warum macht der Kapitalismus alles kaputt. Denn eigentlich stellt er ja unglaublich viel her. Also er wird immer produktiver, er wird dadurch, daß er die ganze Welt durchrationalisiert, immer internationaler, ...
Alexander Schuller: Ja, er macht das Alte kaputt, er räumt auf...
U: Er setzt voraus eine ungeheure Disziplin, bei den Leuten, die u.a. darin in diesem System arbeiten, es ist eine Philosophie der Frühaufsteher, wenn man so will. Aber warum macht er auf der anderen Seite alles kaputt.
S: Ja, er macht das kaputt, weil es keine andere Kraft gibt, die so innovativ ist, wie der Kapitalismus, er ist deswegen so innovativ, weil er keine Ideologie hat. Ihm ist alles egal. Er geht nur auf Maximierung von Gewinn und unterwirft alles diesem Rational. Alles wie Menschenwerte oder Solidarität, oder Kultur, ist alles egal. Insofern ist er einerseits extrem innovativ, und zugleich extrem destruktiv. Alles Alte räumt er weg. Immer schneller. Der Prozeß läuft immer schneller. Das kann man an der Entwicklung der Medien und Technologielandschaft weltweit sehen, also Bill Gates als Metapher dieses Prozesse. Der ist für andere Leute auch eine Metapher, aber das ist er für mich eben auch. Er symbolisiert auch diese ungeheure Schnelligkeit. Vor 20 Jahren, wissen sie noch, was die Computer damals konnten, was sie jetzt können. Und was das auch qualitativ verändert hat. Jedes Auto, jede Bank, jeder Tourismus kann ohne diese Technologie nicht auskommen. Und die ganzen alten Strukturen sind weg. Ich nenne nur ein Beispiel, daß mir gut gefällt:
Es gibt inzwischen in Amerika einen Markt, wo man sagen kann: Ich will also ein Sperm haben den will ich kaufen und das sind die Merkmale: so groß muß der sein, solche Hautfarbe soll er haben, diesen IQ soll er haben, diese körperliche Leistung soll er vollbracht haben, von dem will ich ein Sperm haben. Also das wird ein Marktprodukt. Und die Versuche, das aufzuhalten, empfinde ich trotz meiner vollen emotionalen Solidarität als Unsinn, weil das alles gar nicht läuft. Wenn es etwas auf dem Markt gibt, was Entscheidungsfreiheiten ermöglicht, dann setzt diese Entscheidungsfreiheit sich durch. Traditionell bekam die Frau, anders ging es nicht, in normalen Familien den Sperm vom Mann, ihrem Ehemann, und damit basta. Da wurde auch nicht entschieden. Und wenn der Sperm was taugt, na schön, und wenn er nichts taugt, ist halt schade. So, dann wurde es halt a schiaches Bangertz. Wenn es ein schönes Kind ist, freuen sich alle. Jetzt kann man sagen, naja, nun mal langsam. Warum? Mein Mann ist ein bißchen klein, vielleicht auch nicht gerade schön, ich liebe ihn, aber: Mein Kind soll schöner sein! Ich will einen anderen Sperm, weil mein Mann ist dunkel, ich will ein blondes Kind haben. Alle Entscheidungsfreiheiten stehen offen., Aber was dann für die Institution der Ehe bedeutet, und ich will das jetzt gar nicht so pessimistisch sehen, kann man sich ausdenken.
U: Und wenn das Ei befruchtet ist, dann guckt man nach einer Weile erst mal nach, ob man dieses so konfektionierte Kind auch wirklich haben will.
S: Auch das wird dann gemacht. Und wenn es nichts geworden ist, dann gibt es in Amerika bereits Prozesse, wo man die Spermenbank regresspflichtig mach. Es gab Fälle von Verwechslungen.
U: Die Anwälte haben wieder ein Tätigkeitsfeld entdeckt.
S: Es gab ein Fall vor einiger Zeit, da hat eine Frau, das war eine jüdische Anwaltsfamilie in New York, die sehr bekannt war, und die haben so ein Sperm gekauft, und es stellte sich heraus, die haben das verwechselt im Labor. Und es war jedenfalls ein Negerkind. Was macht man jetzt? Das Negerkind wollten sie nicht haben. Aber das dürfen sie nicht sagen, weil sie ja liberale New Yorker Juden sind, und natürlich nix gegen Neger haben. Aber ein Negerkind wollten sie nicht haben. Nun kamen die nun in heißes Wasser, hot water in Deutschland nennt man das in die bredouille, weil sie sagten, das wollen sie nicht. Da kamen dann die ganzen Neger anmarschiert, und sagten, was ihr seid Antisemiten, nein Antineger oder so, warum wollt ihr das Kind eigentlich nicht, habt ihr was gegen Schwarze. Ich erzähle diese etwas blödsinnige Geschichte nur, weil die illustriert, daß Entscheidungsfreiheiten neue Konflikte schafft, für die es keine institutionellen Vorkehrungen gibt, und auch keine geben wird nach meiner Prognose, weil diese Entwicklungen so schnell laufen. Weil was Instituionen waren, nämlich geronnene Geschichte, sich garnicht entwickeln kann, sondern daß es wirklich eine hic et nunc Kultur geben wird, in der sozusagen im Moment und hier entschieden werden muß, und es keine kulturellen Vorgaben geben wird.
(Prof. Alexander Schuller, Professor für Soziologie an der FU Berlin).
Erst eine vollkommen befreite Menschheit schafft die Voraussetzungen des kapitalistischen Rationalisierungsprozesses auch am Menschen selbst, in seinem Innersten, Eigensten, d.h. dem genetischen Code, den er an seine Nachfahren, seine Kinder weitergibt. Aber die Logik der Effektivität zwingt auch hier jeden Teilnehmer des freien Arbeitsmarktes zu einer Reihe von Entscheidungen. Eine Reihe amerikanischer Unternehmen verlangen, bevor sie neue Arbeitnehmer anstellen, ihren genetischen Fingerabdruck: Es soll nicht nur ausgeschlossen werden, daß ein neuer Arbeitnehmer Aids hat oder eine andere epidemische Krankheit, die dem Unternehmen hohe soziale Kosten aufbürden könnte, sondern auch das Auftreten von möglichen Erbkrankheiten soll bereits vor der Anstellung ausgeschlossen werden: eine genetisch bedingte Neigung zum Alkoholismus, zur Gewaltbereitschaft, zum Herzinfarkt. Alkoholabhängige Mitarbeiter schaden der Effizienz des Unternehmens, vermindern seine Chancen im globalen Konkurrenzkampf.
Was liegt also für ein verantwortungsbewußtes Elternteil näher, als bereits vor der Zeugung von Nachfahren seine eigenen Erbinformationen testen zu lassen, und diese - sobald das technisch möglich sein wird - von Trägersequenzen potentieller erblicher Krankheiten zu reinigen. Bis dahin empfiehlt sich der Zukauf medizinisch einwandfreier Genome. Auf diese Weise ließe sich auch Haarfarbe, Körperbau, Intelligenz und so weiter der eigenen Kinder manipulieren.
Das kapitalistische Zweckrational hat also die Gesellschaften, die es bislang erreicht hat und in denen er zur Blüte gekommen ist, nicht nur von einer Fülle menschenunwürdiger Arbeit befreit, stupide monotone Arbeiten auf dem Feld oder am Fließband und hat für eine dramatische Vermehrung der gesamtgesellschaftlichen Freizeiten gesorgt, von denen noch vor 100 Jahren niemand zu träumen wagte, in einem neuen Sprung biotechnischer Machbarkeit reinigt es die Menschheit von vielen vermeidbaren erblichen Krankheiten. Unsere Kinder und Kindeskinder werden also in Zukunft nicht nur noch weniger arbeiten müssen, sondern sie werden auch schöner und gesünder sein als wir. Bedingung für diese Entwicklung ist, daß die Teilnehmer des freien Marktes sich zur Analyse ihres eigenen genetischen Potential entschließen und dieses gegebenenfalls nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen korrigieren, um die Marktchancen und Marktgängigkeit ihrer eigenen Nachkommenschaft zu verbessern. Wie die Kinder der Zukunft aussehen werden, was sie können oder nicht können, liegt also nicht mehr im schicksalhaften Zufall einer “analogen” Befruchtung, sondern ist der freien Entscheidung der Eltern überlassen, die aber auch vor dem Zwang einer Entscheidung gestellt sind. Sie werden vor die Frage gestellt sein: Überlasse ich die Eigenschaften meines Kindes dem Zufall, oder soll es blond oder braun oder schwarz sein. Dumm oder klug, mathematisch oder handwerklich begabt.
Claus Koch: Die neuen Basisinnovationen, in denen wir schon mitten drin sind, findet in der Bioindustrie statt und in der Gesundheitsindustrie, und alles, was dazu gehört, weil wir ja - wir da ja schon prak¬tisch eingetreten sind in eine Ära einer neuen positiven Eugenik, die so tief in die Gesellschaft reicht, weil sie alle Individuen zwingt, mit Hilfe der prädiktiven Medizin, das zu wissen, was sie über sich wissen können. Das wird enorm viel. Das sozusagen mit jedem Gen, das neu entdeckt wird. Aber es ist ja nicht nur das Genomprojekt, das betrfft ja auch den Wissenszwang und den Entscheidungszwang für die Individuen, der größer wird. Also das Recht auf Nichtwissen ist eine konservative Hoffnung, auch wenn die von links kommt, und wenn sie die Investitionen der pharmazeutischen Industrie und der Bioindustrie anschauen, vor allem der Testindustrie - und in Amerika sind wir ja schon mitten drinnen - ist dieses dort der nächste große Innovationsschub. Ich würde sagen, mit dem der Kapitalismus sich zum Teil selbst denunziert und angreift, weil es zugleich ein Emanzipationszwang ist, unter den die Leute gestellt sind. Die Leute werden mit der Fähigkeit sich zu beobachten und sich auch Therapien auszusetzen, oder die zu wollen, werden die ja nicht unfreier, erst einmal, denn, wenn man Erbkrankheiten identifizieren kann, Verhaltensweisen, die ererbt sind, aber mit anderen Dingen zusammenhängen, selbst kontrollieren kann, als Marktindividuum, nicht vom Staat gezwungen, dann ist es ja für die Individuen erst einmal ein Fortschritt, von dem sie sich Genuß erhoffen können.
Man könnte vielleicht auf die vernünftigere Idee kom¬men, zu sagen, diese Idee aus den eigenen Genen seinen Nachwuchs zu erzeugen, um eine Identität in Fortleben der Kinder zu haben, ist doch eigentlich von gestern, die kommt noch aus einer archaischen Zeit, die bis in das Industriezeitalter fortgewirkt hat, auch diese Idee von Ursächlichkeit der Herstellung, der Mensch als Homo faber auch seiner Kinder, wir können, wenn wir schon glauben, daß wir Familie haben wollen, wir können uns unsere Kinder ja auch anders besorgen. Ist ja de facto schon mit der ganzen Repetitionsmedizin eingeleitet, also in der technischen Herstellung von Kindern, die nicht mehr durch Zeugung im klassischen Sinn passieren und auch sozusagen der Zufallsnotwendigkeit zum Teil entkommen, sondern die bewußt hergestellt werden können, das ist je weiter die Genomanalyse fortschreitet und das große Programm ist ja in 5 Jahren oder 7 Jahren abgeschlossen, desto größer werden natürlich die Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten. Bis hin zu einem qualvollem Zwang, das muß man auch sehen. Wahl ist ja kein Vergnügen, oder wählen müssen, wenn man zuviel von sich weiß.
Und dieses bietet da, wenn man da weiter spekuliert, zwei Richtungen des Verhaltens an. Die eine kann eine hart Darwinistische sein, die andere kann aber auch eine Gesellschaft sein, die empathisch miteinander umgeht, weil sozusagen keiner richtig gesund ist, und die reichen Genbesitzer sind von den armen oder den schlecht ausgestatteten legitimer Weise nicht mehr zu trennen. Wenn man sich vorstellt, es gäbe, was auf dem Papier möglich ist, diejenigen mit einem reichen unangetasteten Genom, für das sie überhaupt nichts können, und es gäbe dort die schlecht Bemittelten, da kann man natürlich auch die barbarische Konsequenz ziehen. Die Amerikaner sind heute in der Lage in der Situation, daß sie sich so verhalten würden mit ihrem logistischen Konkurrenzglauben, aber die Amerikaner können auch manches noch lernen. Für uns ist das unvorstellbar, aber in dieser Perspektive muß man inzwischen denken, und dieses schafft natürlich Umwälzungssituationen, ...
das schafft natürlich neue Situationen, von denen wir keine Ahnung haben. Zugleich ist es eben mit einem Schub von Wirtschaftsinteressen, von Investitionen verbunden und wenn die so eine Fusion dieser Pharmazeutikriesen so viel Wirbel macht in der ganzen Pharmaziebranche, die Aktien nach oben treibt, seit vorgestern, so steckt zum Teil dieses schon mit drin...
Claus Koch, Publizist
Man muß sich, glaube ich, bei der Ausgestaltung dieser Perspektiven vor Augen führen, daß - wie schon gesagt - der Kapitalismus als genuines Kind der Aufklärung angetreten war, die ins Jenseits verlagerten Paradies- und Heilsversprechen der religiösen, v.a. christlichen Institutionen als das zu entlarven, was sie sind und waren, phantastische Mythen, die einer glauben will oder nicht, jedenfalls entbehren sie einer vernünftigen Grundlage. Anstelle dessen wurde ein Projekt gestartet, welches davon ausging, daß eine nach den Gesichtspunkten der Vernunft und der Effizienz gestaltete Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung eben dieses paradiesische Versprechen schon im Diesseits würde annähernd einlösen können.
Die Übernahme genau dieser ursprünglich christlichen Vision eines erfüllten und beglückenden Endzustandes, für den man spart und investiert, auf den man zuarbeitet, wenn schon nicht zum eigenen Wohl, so doch zum Wohl der Kinder und Kinder, die es besser, schöner, schneller haben sollen als wir, erklärt zum Teil die immense Durchschlagkraft des kapitalistischen Denkens, die quasi prophetische visionäre Hingabe ihrer herausragenden Vertreter, denen ich ihren Glauben abnehme, mit ihrem Tun und Lassen der Menschheit zu beglücken. Nur vor diesem Hintergrund versteht sich m.E. der Enthusiasmus der Internet-Apologeten, deren Energieentfaltung einem Kreuzritterfeldzug gleicht. (Hier wie dort ging und geht es gleichzeitig um handfeste wirtschaftliche Interessen, aber These ist, beides - quasi religiöser Unterbau und die ökonomische Rationalität - seien miteinander identisch, auseinander hervorgegangen und sich gegenseitig stützend. Man kann sich das eine losgelöst vom anderen schlechterdings nicht vorstellen).
Niels Werber: Die Idee ist hemmungslos auf technischen Fortschritt zu setzen und zu glauben, - wie Prothesen heute schon selbstverständlich geworden sind, und wie man langsam schon anfängt, Gehörlosen oder Blinden mit Implantaten zu helfen. Da gibt es Experimente am MIT - daß die nächste technische Revolution sein wird, daß man eine Art cyborgs erschafft, Modell Robocop und der nächste Schritt wäre dann endgültig, daß man auf den Körper ganz verzichten kann, daß man das Bewußtsein in einer Art Matrix festhält (die Science-Fiktion-Filme sind ja voll davon, also William Gibson als Erfinder des Wortes Cyber-Space, der hat das ja in seinen Romanen beschrieben), daß reiche Menschen mit enormem technischen Aufwand ihr Bewußtsein in einem Computer implementieren lassen und sozusagen unsterblich werden. Und das hat stark religiöse Züge. Der Wunsch ist Unsterblichkeit, der Wunsch ist den Körper zu verlassen. All das ist sehr christlich gedacht. Das Medium ist aber nicht die Erlösung im jüngsten Gericht, sondern die Erlösung ist die Technik, die das ins Werk setzt.
Und deshalb gibt es auch die Vision der letzten Grenze, die man jetzt überschreitet, mit dem Cyber-Space, also die Grenze, die man überschreitet ist nicht nur eine räumliche Grenze, sondern das ist der Körper. Der Körper wird als lästiger Ballast zurückgelassen und dann erst erhält der Cyber-Space seinen eigentlichen Sinn. So ist die Vision. Und dann gibt es sozusagen noch eine hochreligiöse Vorstellung von einer Art Super-Intelligenz, die sich dann in diesem Medium realisiert, daß sozusagen die Bewußtseine, die ganz in den Cyber-Space eingegangen sind, sich koppeln zu einer Art neuen Superintelligenz und diese Superintelligenz wird der Gesprächspartner für Gott...
Aumüller: Oder ist Gott
Werber: Ja, da gibt es mehrere Varianten dieser Erzählung. Aber eine Variante ist, daß die technische Entwicklung sozusagen der Vollstrecker der Schöpfung ist, und daß die ganze Schöpfung den Sinn hat, daß Gott ein ihm ebenbürtigen Gesprächspartner haben möchte, und daß sich diese im Cyber-Space aufgegangenen Bewußtseine verschmelzen zu einem bewußtgewordenen Globus, die Glasfaserkabel sind die Nervenstränge und die Computer sind neuronale Punkte. Und dann gibt es einen Prozeß der Bewußtwerdung und das ist dann der Ge¬sprächspartner für Gott: No¬sphäre heißt das dann.
Niels Werber, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik der Universität Bochum
Gibt es eine Form der ästhetischen Produktion, Kino, Literatur, Musik, die sich den hier skizzierten Entwicklungen in den Weg stellt. Abgesehen von der Frage nach der möglichen Effizienz eines Einspruchs oder einer ästhetisch formulierten und organisierten Opposition - ich hatte oben schon angedeutet, daß ich diese Prozesse für unaufhaltsam und unumkehrbar halte - wäre die Frage zu klären, ob eine solche Opposition überhaupt wünschenswert ist. Gegen was und für was opponiert werden sollte? Weiß es denn jemand? Gegen die sogenannt gefährlichen Technologien, die nicht ganz durchschaubar oder bewährt sind, also Atomkraftwerke, Biotechnologie, Star-Wars ja, hingegen gegen das Automobil und das Internet nicht? Interessierte eine solche Opposition denn überhaupt jemanden? Gewiß, es findet sich in der freien Marktwirtschaft für jede Meinung eine Gruppe von Käufern, die sich ihr eigenes Gewissenspaket aus diesen oder jenen Quellen zusammenschnüren, wieder aufknüpfen und auf´s Neue puzzeln. Auf es kann nicht Aufgabe von Kunst sein, Meinungen zu illustrieren.
Von daher versperrt sich der Weg, den Hanns Eisler zu gehen versucht hat, der frühe Eisler, der 20er und 30er Jahre. Es gibt kein Industrieproletariat mehr, auf deren Schultern getragen Eisler ein heraufziehendes goldenes Zeitalter halluzinierte. Die Arbeit dieser Arbeiter wurde rationalisiert, oder wurde ins Ausland verlagert, vorübergehend, solange die Lohnkosten dort in Übersee oder sonstwo günstig bleiben. Steigen sie, produzieren auch dort nur noch Maschinen.
Die kapitalistischen Gesellschaften sind soweit individualisiert und atomisiert, daß sich eine Solidarität für was auch immer entweder nur kurzfristig, in Form einer Mode, oder mit Gewalt durchsetzen läßt. Beide Alternativen scheinen wenig vielversprechend.
Die Rekonstitution von gemeinschaftlichen Lebensformen wird zur Zeit paradoxer Weise in den amerikanischen Bildungs- und Vermögenseliten diskutiert und in Ansätzen auch schon praktiziert. Gut verdienende Internet-Arbeiter haben entdeckt, daß sich in einer friedlichen, sozusagen dörflichen Atmosphäre, wo jeder jeden kennt und im Bedarfsfall hilft, viel angenehmer leben und arbeiten läßt. Also wurden kommunitaristische Instantdörfer gegründet, abgeschirmt von der Außenwelt, abgeschirmt von der Realität des Durchschnitts. Die Kinder können auf der Straße spielen, es gibt keine Rassenkonflikte in den Schulklassen, keine Gewalt im Fernsehen. Ein Zeichenprogramm malt jeden Tag einen blauen Himmel in die Wolken.
Was dieser kommunitaristische Ansatz (sozusagen ein Kommunismus für die Reichen) dem radikalen Kapitalismus entgegensetzt, ist der Versuch, in diesen Gemeinschaften, Zusammenschlüssen freiwilliger Individuen so etwas wie ein verbindliches ethisches und moralisches Wertesystem zu etablieren: Die Neudefinition von Geschlechterrollen, der Familie, des Dorfes - vieles, was es darüber zu lesen gibt, scheint vom Pioniergeist der Westernfilme inspiriert.
Ob dies auf längere Sicht zu halten sein wird, oder ob dem das gleiche Schicksal wie der Kommune 1 beschieden sein wird, ich habe da so meine Zweifel. So und so taugt dieses Modell nur für eine kleine auserlesene Schar gut betuchter und gut ausgebildeter Eliten, die sich auf der Basis einer Reihe gemeinsamer (rationaler) Interessen zusammentun. Das ändert nichts am Zug und der Geschwindigkeit der angesprochenen Entwicklungen.
Bliebe für die Kunst und die Musik vielleicht die Artikulation von Angst oder Wut - oder, was spätestens seit Scesli und dem späten Nono so und so schon ausführlich praktiziert wird, sozusagen das kunstvolle Schweigen. Das Schweigen aus Mangel an Alternativen, denn, wer nichts zu sagen hat, sollte lieber schweigen. Dann das Schweigen, das Raum schafft für die Wahrnehmung von etwas, das jenseits dieses ökonomischen Trubels auch noch da ist: Die Schönheit, die Würde der Schöpfung, die einfach an sich da ist, zum Zwecke von niemanden. Die Demut.
Cast & Crew
- Regie
- Martin Daske
- Hauptdarsteller/in
- Werner Wölbern, Jürgen Thormann (Jürgen THormann), Verena von Behr, Michael Hirsch
- Zeitzeuge
- Thomas Gebert, Claus Koch, Meinhard Miegel, Bernd Niquet, Alexander Schuler, Harald Schumann, Niels Werber
- Ton
- Andreas Meinetsberger, Venke Decker