36 Siemens Luftgeräusche unplugged

Geräuschkollage aus der Welt der Produktion

Luftgeräusche
Geräuschkollage aus der Welt der Produktion

von Uli Aumüller

Ausgangsmaterial der “Luftgeräusche” sind Aufnahmen aus zwei Fabriken, dem Siemens Kabelwerk, das jetzt Pirelli gehört, und dem Werk für Lichtwellenleiterkomponenten, also Bauteilen, die im weitesten Sinne der Kommunikation zwischen Großrechnern dienen.

Diese Aufnahmen habe ich nach musikalischen Gesichtpunkten sortiert, nach Klangfamilien - es gibt die Familien des Rauschens, des Dröhnens, des Pfeifens, des Ratterns und so weiter, abgestuft nach der Klangfarbe, nach rhythmischen Qualitäten oder auch nach der Tonhöhe.

Der Hörer wird nun nach und nach durch die Klangfamlien dieser beiden Fabriken geführt, wobei jedoch im Verlauf des Stückes durch elektronische Bearbeitung die Wiedererkennbarkeit der Klänge, ihre repräsentative Funktion sich immer mehr auflöst zugunsten rein musikalischer Eigenschaften des ursprünglichen O-Tonmaterials. D.h. der dokumentarische Aspekt, unter welchen akustischen Bedingungen die Angestellten und Arbeiter der beiden Fabriken ihre Arbeit verrichten, transformiert zu einer musikalischen Komposition, die aus der Immanenz des anfänglichen Realismus hervorgeht, über ihn hinausweist, ihn deutet - ihn transzendiert, durchaus im religiösen Sinn des Wortes.

Nach einem ähnlichen Prinzip sind auch die Texte, die in diese Klangkollage und Komposition eingebaut sind, geschrieben und strukturiert. Zu Beginn schildern sie die Funktion, den Zweck und das Aussehen der Maschinen, die man gleichzeitig zu hören bekommt - im Verlauf des Stückes geht es immer mehr um die Bedeutung der Produkte, der Kabel, der Computerkomponenten und ihrer Herstellungsweise innerhalb eines größeren kosmologischen Zusammenhangs. Es geht um die Frage, ob die Geräusche über die nackte Tatsache ihres Erklingens hinaus mit einer sie transzendierenden Bedeutung aufgeladen sind, und welche Bedingungen der Wahrnehmung erfüllt sein müssen, um diese auch herauszuhören.
Genau dies meint auch der Titel einer Phonoskopie aus der Welt der Produktion. In Abwandlung der Teichoskopie, dem Blick über die Mauer in der klassischen Dramentheorie - also ein Bote steht auf der Bühne, und beobachtet und erzählt den Verlauf einer Schlacht, die sich jenseits des Bühnenrands ereignet - versucht die Produktion “ Luftgeräusche” einen Blick über die Ränder der Klänge hinaus, die sie als Ausgangsmaterial verarbeitet.

Ein realistischer Hörgenuß stellt sich nach meiner Erfahrung erst dann ein, wenn man auch am heimischen Abhörgerät eine Lautstärke wählt, die den realen Lautstärken in Fabrikhallen in etwa ähnlich ist, ab der zum Beispiel auch Techno-Musik ihre Wirkung entfaltet. Sollten Sie also geräuschempfindliche Nachbarn haben, sei ihnen hiermit der Gebrauch eines Kopfhörers dringend anempfohlen. Drehen sie nun also den entsprechenden Knopf ihres Radioempfängers beherzt ein paar Zentimeter nach rechts.

“Siemens” habe ich Helmut Lachenmann gewidmet, da ich seiner Musik und seinen Reflektionen nicht nur über die Musik, sondern - sagen wir - über Gott und die Welt, entscheidende Anregungen für diese Produktion verdanke.

Manuskript


Luftgeräusche
Phonoskopie aus der Welt der Produktion

von Uli Aumüller

Helmut Lachenmann gewidmet, dem dieses Stück viele Anregungen verdankt

Sprecher: Andrea Kopsch und Gunter Cremer

Die Aufnahmen enstanden im Siemens Kabelwerk und dem Werk für Lichtwellenleiterkomponenten, Berlin/Spandau

© SWR/SR/inpetto filmproduktion 1999

Kritik Süddeutsche Zeitung

Diese Produktion kann als CD zum Preis von 12,80 € bei der inpetto filmproduktion bestellt werden. Bitte schreiben Sie eine mail an: bestellungen@inpetto-filmproduktion.de

Cast & Crew

Regie
Uli Aumüller
Schnitt
Stefan Gagstetter